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Lebenshilfe Wetterau e.V. - News

NEUES aus der LEBENSHILFE. Gemeinsam was besonderes - Geschwisterkind mit Behinderung


In unserem nächsten Bericht geht es um Geschwister

Wie ist es wenn die Schwester behindert ist?
Was ist anders bei Euch ?
Was sagen deine Freunde dazu?
Tom erzählt über das Leben mit seiner Schwester Julia.

Für unsere 1. Ausgabe 2020 "NEUES aus der LEBENSHILFE WETTERAU" haben wir das Geschwisterthema als Schwerpunkt gewählt. Wir haben Geschwisterkinder und auch Eltern gebeten uns davon zu erzählen. Diese ganz besondere Reihe werden wir jetzt nach und nach veröffentlichen. Wenn Ihnen die Beiträge gefallen oder Sie etwas dazu schreiben möchten, nehmen Sie gerne mit uns Kontakt auf:

carmen.bleck@lebenshilfe-wetterau.de 

 

Dieser Bericht wird unterstützt durch die Anzeige der Firma Werner.

Die Anzeigenpartner von "NEUES aus der LEBENSHILFE WETTERAU" unterstützen uns auch bei dieser Online-Variante. DANKE dafür.

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Down-Syndrom? Völlig normal

„Wie ist das, eine Schwester mit Down-Syndrom zu haben?“ Diese Frage wurde mir schon öfter gestellt. Das lässt sich nicht so leicht beantworten. Ich versuche einfach ein bisschen aus meinem Leben mit meiner Schwester zu erzählen.

Ich habe in der ersten Klasse erfahren, dass meine Schwester etwas Besonderes ist. Meine Eltern haben mir erklärt, dass sie Down-Syndrom hat. Erst mal war ich neidisch. Wieso hatte sie ein Krümel pro Zelle mehr als ich? Mit der Zeit verstand ich, dass das Chromosom mehr kein Vorteil ist bzw. kleine Nachteile verursacht. Mir war es erst mal egal, so lang sie mit mir spielte, konnte sie ruhig anders sein. Mir fiel kaum ein Unterschied auf. Natürlich habe ich auch mit meinen Klassenkameraden darüber gesprochen. Bei ihnen kam es so rüber, als wäre meine Schwester krank. Doch ich wusste, dass das nicht der Fall ist. Ich versuchte es meinen Klassenkameraden zu erklären, erfolglos. Schnell entwickelte sich das Thema zu einer Möglichkeit mich zu hänseln. Es fielen Sprüche wie „Du bist doch genauso blöd wie deine Schwester, das ist sicher auf dich übergesprungen!“ und ähnliches. Mir war zu dem Zeitpunkt bewusst, dass sie Mist erzählten. Gegen Mitte der 3. Klasse erzählte ich meinen Eltern davon. Mein Papa kam dann auf die Idee eine Präsentation zu machen und es so meiner Klasse zu erklären, das Down-Syndrom nichts Schlimmes ist. Nach Rücksprache mit meiner Lehrerin, welche die Idee gut fand, setzten wir die Idee in die Tat um. Eine viertelstündige Power-Point-Präsentation war das Ergebnis. Es war die erste richtige Präsentation meines Lebens. Das Ergebnis hat mich überrascht. Meine Klasse zeigte nicht nur starkes Interesse, sondern unterließ auch jede Art von Hänseleien.

Später bemerkte ich die Unterschiede zwischen meiner Schwester und anderen Mädchen in ihrem Alter. Irgendwann überholte ich sie dann inhaltlich in der Schule. Doch nicht nur das, sondern auch ihre unglaubliche Lebensfreude und Offenheit, welche ich sehr bewundere, fiel mir auf. Sie schaffte es immer wieder mir zu zeigen, wie schön das Leben sein kann, wenn man einfach mal ganz simpel denkt.

 

„Ist es manchmal anstrengend mit deiner Schwester?“ Ja klar. Aber ich denke die meisten würden das über ihre Geschwister sagen. Julia, meine Schwester, ist nur in anderen Bereichen anstrengend, als Gleichaltrige. Es kann unglaublich schwer sein ihr Dinge zu erklären. Denn ein fiktives Beispiel versteht sie nicht. Sich Dinge einfach mal vorzustellen „Wie wäre es denn für dich, wenn…“ die Antwort lautet meistens „aber so ist es doch gar nicht?“. Kennen sie ein kleines Kind, ein Grundschulkind? Versuchen sie mal ihm oder ihr etwas ganz fremdes oder unverständliches ohne Beispiel zu erklären. Dann wissen sie wie es ist, meiner Schwester etwas zu erklären.

Sie kann auch unglaublich stur sein. Wenn sie etwas nicht einsieht, dann will sie es manchmal einfach nicht verstehen. Meine Eltern haben dann (meistens) eine beeindruckende Geduld (nach meinem Empfinden mehr als mit mir).

Sehr anstrengend ist ihre Art, wenn sie sich nicht traut uns anzusprechen, wenn sie etwas stört oder sie etwas fragen will. Julia ist relativ schüchtern. Sie steht dann manchmal 10 Minuten in der Küche und man sieht ihr an, dass sie etwas will. Früher haben wir sie darauf angesprochen. Doch mittlerweile reagieren wir meistens nicht. Denn sie muss lernen selbst zu fragen. Denn das Problem ist, sie ist traurig oder beleidigt, wenn die andere Person nicht weiß was sie stört. Leider schaut sie dann ganz betrübt, doch auf Nachfrage sagt sie, dass alles gut ist, da sie sich einfach nicht traut. Ja, sie ist schüchtern, doch es liegt auch daran, dass sie ihren Gegenüber nicht verletzten will. Denn meine Schwester ist ein sehr Harmonie bedürftiger Mensch. Sie hat früher angefangen zu weinen, wenn ich mich, mal wieder, mit meinem Vater gestritten habe. Sie kann übrigens, trotz dass sie sehr Harmonie bedürftig ist, sehr gemein und provokant sein, auch wenn ihr das meistens selber gar nicht bewusst ist. Aber auch daran gewöhnt man sich. Es ist jetzt schon einige Jahre her, dass ich mich mit meiner Schwester so richtig gestritten habe. Das einzige, das mich immer noch auf die Palme bringt, ist wenn sie wieder „affig“ ist, also aufgesetzt lustig. Bei ihr entsteht das durch Unsicherheit.

Ich sage aus voller Überzeugung:

Ich bin froh eine Schwester mit Down-Syndrom zu haben.

Denn sie gibt mir viele wertvolle Dinge. Ich werde ab und zu für meine Empathie und meine Fähigkeit das Gute in Menschen zu sehen gelobt. Dies sind Eigenschaften die mir meine Schwester geschenkt hat. Ihre unbeschwerte, glückliche Art ist unglaublich und schwer zu beschreiben. Sie ist meistens einfach mit dem was sie hat zufrieden und glücklich. Bei einer Umfrage gaben 99% der Menschen mit Down-Syndrom an, dass sie glücklich mit ihrem Leben sind. Eine Fähigkeit, die vielen heutzutage einfach fehlt. Sie schafft es Menschen ohne Vorurteilen zu begegnen, was ebenfalls vielen schwer fällt. Doch trotzdem sind Menschen mit Down-Syndrom nicht immer die dummen aber zufriedenen Menschen, wie manche denken. Sie sind ganz normale und gleichwertige Menschen.

Durch meine Schwester setzte ich mich im Kleinen schon gegen Abtreibung aufgrund einer Diagnose wie Trisomie 21 (Down-Syndrom) ein. Es ist gesetzlich in Deutschland erlaubt einen Menschen mit einer festgestellten Behinderung, im Gegensatz zu „normalen“ Kindern, bis wenige Stunden vor der Geburt abzutreiben. Dies sind Dinge die sich ändern müssen und von der Presse totgeschwiegen werden. Allgemein ist es manchmal echt hart, wenn man Sticker, also kleine Bildchen auf Whats-App, bekommt wo auf eine primitive und verachtende Weise Menschen mit Triesomie21 fertiggemacht werden. Es erschreckt mich, dass viele das einfach lustig finden. Als ich einer Klassenkameradin von einer Statistik erzählt habe, gemäß der 9 von 10 Kindern mit der Diagnose Down-Syndrom abgetrieben werden, antwortete sie „Ja, würde ich auch machen“. Dies sind Momente die mich traurig machen. Man lernt Seiten von Menschen kennen die einen irritieren.

Allerdings habe ich über meine Schwester viele wundervolle Menschen kennengelernt. Dadurch, dass wir in einer Selbsthilfegruppe sind, die Familiengruppe Down-Syndrom der Lebenshilfe, habe ich andere Geschwisterkinder kennengelernt, die dieselbe Besonderheit in der Familie haben. Es sind Menschen die einen ohne Einschränkungen so nehmen wie man ist. Die Freizeiten sind immer Mega schön und eine Möglichkeit einfach mal den Leistungsdruck des Alltags zu vergessen.

Ich wurde gefragt, ob meine Schwester mehr Aufmerksamkeit bekommt oder Vorteile hat. Und ich kann ganz klar sagen Nein. Meine Eltern behandeln uns beide gleich. Meistens war sogar ich der, der mehr Aufmerksamkeit bekommen hat z.B. als ich meine Hausaufgaben mit Mama zusammen gemacht habe. Mittlerweile ist das aber ziemlich ausgeglichen.

Meine Schwester ist ein Geschenk, wenn man hört was in anderen Familien passiert. Bin ich froh meine Schwester zu haben. Denn durch ihre Besonderheit ist sie eine wundervolle Person die es, wie jeder andere, verdient hat zu leben und dieselben Rechte zu haben. Abschließend würde ich sagen:

 „Sie ist keine Belastung, sie ist ein Geschenk- ein wunderschönes Geschenk“

Autor Tom Rolle

 

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